Auslandsjahr – Homosexualität – High School – bisexuell – Gastfamilie – Auslandsaufenthalt – lesbisch – queer
Sei es freizügige Kleidung oder der leidenschaftliche Kuss unter frisch Verliebten – auf deutschen Schulhöfen gibt es in dieser Hinsicht kaum Einschränkungen. Das kann in anderen Ländern gleich ganz anders aussehen. Nehmen wir einmal das Gastland Nr. 1, die USA: Hier führen viele High Schools einen eigenen „Dress Code“, der unter anderem Rocklänge, Trägerbreite oder Gürtelpflicht vorschreibt – und der je nach Schule auch streng kontrolliert wird. Manche Länder verbieten zudem generell öffentlichen Körperkontakt zwischen Jugendlichen, sodass eine (aus unserer Sicht harmlose) Umarmung zur Begrüßung bereits Probleme bereiten kann. Auf solche Regeln solltet ihr euch für die Zeit im Ausland einstellen und sie respektieren können.
Ganz ähnlich verhält es sich mit Sex. Jugendliche Hormone spielen bei euren Gleichaltrigen im Gastland sicherlich genauso eine Rolle wie in Deutschland. Der Moralkodex zum Thema Geschlechtsverkehr (zwischen Mann und Frau bzw. gleichgeschlechtlich) sowie der Umgang damit kann jedoch von Land zu Land sehr unterschiedlich sein. Möglicherweise wird eure Umgebung konservativer oder liberaler zu Sex eingestellt sein als ihr. Informiert euch am besten vorab auch über die jeweilige Gesetzgebung im Land. Manche Austauschorganisationen untersagen übrigens von vornherein in ihren Programmregeln Geschlechtsverkehr während des Auslandsaufenthalts oder raten wenigstens zu einem vorsichtigen Umgang damit. Ungewollte Schwangerschaften hat es auch im Schüleraustausch schon gegeben, daher solltet ihr euch der Konsequenzen immer bewusst sein und im Fall der Fälle zumindest unbedingt verhüten. Da es im Gastland manchmal schwierig sein kann, (diskret) Verhütungsmittel zu bekommen, wäre eine Option, sicherheitshalber – auch zum Schutz gegen Aids – eine Packung Kondome aus Deutschland mitzubringen.
Wie ist das eigentlich mit Homosexualität im Ausland?
Ein High School Jahr ist eine aufregende Zeit: Ihr seid jung, entdeckungsfreudig und gerade dabei, eure eigene Identität aufzubauen und zu finden. Während eines mehrmonatigen Auslandsaufenthalts könnt ihr an Herausforderungen wachsen, wie z.B. alleine zurechtzukommen und neue Freundschaften zu knüpfen. Schließlich lernt ihr nicht nur ein anderes Land und neue Menschen kennen, sondern ihr erfahrt zusätzlich eine Menge über euch selbst, eure Stärken und Schwächen. Für viele Austauschschüler wird aus einem langfristigen Aufenthalt im Ausland ohne das bekannte Umfeld von zu Hause somit einer der prägendsten Abschnitte ihres Lebens.
Ein Austauschjahr findet meist in einer Zeit statt, in der eure Eltern immer mehr in den Hintergrund rücken und gleichaltrige Freunde für euch den ersten Platz als Vertrauenspersonen und Wertevorbilder einnehmen werden. Sicher kennt ihr den Wunsch nur zu gut, zu einer Gruppe dazuzugehören, die gleichen Interessen zu haben und vielleicht sogar „cool“ und anerkannt zu sein. Besonders gerne und viel wird in dieser Zeit natürlich auch über das andere Geschlecht gesprochen, und das vermutlich, mehr oder weniger offen, in jedem Land der Welt. Verständlich, dass es gerade in dieser Lebensphase schwer sein kann, sich für etwas zu interessieren, das – oberflächlich betrachtet – niemanden sonst zu begeistern oder vielleicht sogar abzuschrecken scheint: das gleiche Geschlecht.
Laut einer Berliner Studie tauchen zumeist im Alter zwischen 13 und 15 Jahren erste Vermutungen auf, dass man Vertreter des gleichen Geschlechts attraktiver finden könnte als die des anderen. Ab etwa 16 Jahren werden nicht selten zunächst enge Freunde ins Vertrauen gezogen und die persönlichen Neigungen konkret angesprochen. Die eigenen Eltern jedoch erfahren meist erst sehr viel später davon (z.B. nach Erreichen der Volljährigkeit).
Sexuelle Neigung als Thema im High School Programm?
Nun fällt die Phase der Identitätsfindung genau in die Zeit eines potentiellen High School Besuchs bzw. einer Bewerbung für ein Austauschprogramm. Wie entscheidend ist hier eine homosexuelle Orientierung für den Verlauf eines Schüleraustauschs, wie wichtig oder unwichtig die Thematisierung während der Bewerbungsphase oder im Auslandsjahr selbst?
Generell ist Sexualität in Form von körperlicher Anziehung, Liebe oder Zuneigung ein sehr privates Thema, das – in welche Richtung auch immer – praktisch gar nicht offen behandelt werden muss. Zumal ihr zum Zeitpunkt der Programmbewerbung vielleicht auch noch gar nicht sicher seid, in welche Richtung eure Neigung in Wirklichkeit geht. Falls ihr schon vor eurer Abreise Gewissheit habt, dass ihr euch viel stärker zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt, könnte es – abhängig vom Gastland und den dortigen Gesetzen – eine Überlegung wert sein, diesen Teil von euch in den Unterlagen für die Gastfamiliensuche offen anzusprechen, z.B. weil dieser Aspekt einfach zu euch gehört, oder weil ihr vorher schon sicher sein wollt, dass die Gastfamilie eure Orientierung respektiert. Wenn die eigene Homosexualität aber erst durch das Austauscherlebnis und die persönliche Entwicklung im Ausland bewusst wird, kann es unter Umständen helfen, mit jemandem aus dem Freundeskreis im Gastland darüber zu sprechen, z.B. einer Person, von der ihr annehmt, dass sie euch versteht und sie euer Vertrauen besitzt. Viele Jugendliche schrecken jedoch häufig noch davor zurück, ihre Homosexualität sich selbst und insbesondere anderen gegenüber offen zuzugeben, aus der Sorge heraus, den Anschluss an die Gruppe bzw. Freunde zu verlieren. Das ständige Verbergen der eigenen Wünsche und somit auch der Identität kann jedoch großen Stress verursachen.
Sicherlich gehört eine gewisse Portion Mut und Kraft dazu, sich für den einen oder anderen Weg zu entscheiden. Dies ist zum Teil auch abhängig von eurem Umfeld (sind die Personen z.B. offen gegenüber Homosexualität?) und eurer eigenen Persönlichkeit (habt ihr das Bedürfnis, euch jemandem mitzuteilen oder braucht ihr einfach noch ein bisschen Zeit?). Allgemein gilt übrigens für alle Teilnehmer eines Schüleraustauschprogramms, dass sie ein gewisses Maß an Selbstvertrauen und Frustrationstoleranz mitbringen sollten, um die üblichen Herausforderungen eines Auslandsjahres (wie z.B. Heimweh oder Kulturschock) so gut wie möglich zu meistern. Eigenschaften also, die die Bewältigung verschiedener Situationen ggf. erleichtern können.
Schaut zum Thema Homosexualität und Schüleraustausch auch gerne mal bei Queertausch von AFS Deutschland vorbei!
Entscheidungshilfen in Anspruch nehmen
Wenn ihr bislang noch unsicher seid, wie ihr mit eurer Zuneigung zum gleichen Geschlecht vor oder während des Auslandsaufenthalts umgehen sollt, und ihr euch noch keiner Person aus eurem näheren Umfeld anvertrauen möchtet, könnt ihr euch auch stattdessen an spezialisierte Beratungsstellen wie Jugendzentren, Initiativen oder Vertrauenslehrer wenden. Entscheidend ist einfach, dass ihr hier und da mit jemandem offen über eure Wünsche sprechen könnt – seien es Freunde (z.B. im Gastland), andere Gleichgesinnte im Internet, (Gast-)Eltern oder auch z.B. Ansprechpartner eurer Austauschorganisation.
Homosexuelle Gastfamilien
Egal ob im Schüleraustausch, bei einer Sprachreise oder in anderen Programmen mit privater Unterkunft: Eine „typische Gastfamilie“ gibt es nicht. Neben der (oft erst gewünschten) Kombination Mutter, Vater und Kind(er) im gleichen Alter können auch junge Paare ohne Kinder, ältere Ehepaare mit erwachsenen Kindern oder Alleinerziehende ein schönes Zuhause auf Zeit bieten. Jenseits der Familienstruktur vermögen darüber hinaus weder der soziale Status, die Religion oder ethnische Herkunft, noch die sexuelle Identität der einzelnen Familienmitglieder den „Erfolg“ des Zusammenlebens im Voraus festzulegen. Für den „Wohlfühlfaktor“ ist auf beiden Seiten vielmehr entscheidend, ob es z.B. gemeinsame Interessen gibt oder die Chemie zwischen Gastfamilie und Austauschschüler stimmt. Letzteres ist – egal bei welcher Familienkombination – im Prinzip nicht vorhersehbar. Seid daher einfach offen, was eure Gastfamilie betrifft. Falls man sich trotz allem gar nicht verstehen sollte, was durchaus mal vorkommen kann, ist bei schwerwiegenden Fällen auch ein Gastfamilienwechsel möglich.